9. Dezember 2006

 

 

 

 

Home
Nach oben
Mitglieder
Veröffentlichungen
Schreibwerk-"zeug"
Disclaimer

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Ihre Körper zeichneten sich als übergroße Schatten auf dem Schneefeld aus.

„Wir sind Monster, Hope, nichts als monströse Ausgeburten, Weltzerstörer.“

Von Zeit zu Zeit brach sein Stiefel in die harschige Oberfläche ein, er musste Acht geben, den vor ein paar Tagen angeschlagenen Knöchel schonen. Die weiße Fläche schien kein Ende zu haben, allmählich packte Erid die Verzweiflung. Würde er hier den Tod finden? Jetzt, ausgerechnet, wo Hope zu ihm gekommen war?

„Nein!“, brüllte er in die Stille. Er streckte seine Arme aus, als würde er den Himmel umarmen wollen und schrie noch einmal: „Nein!“

„Was schreist du so?“

Erid fuhr herum. Es war keiner zu sehen. Oder besser gesagt, keine, denn die Stimme war weiblich gewesen. „Wo bist du?“ Seine Zähne schlugen vor Kälte aufeinander.

Ein paar Meter vor ihm tauchte wie ein Geist ein Wesen auf. Er hörte Lachen und stolperte auf die Gestalt zu.

Eine Frau, tatsächlich. Sie kicherte. „Du konntest mich nicht sehen.“

Schon war sie wieder verschwunden. Aber Erid erkannte ihren Trick nun aus der Nähe. Sie trug ein schneeweißes Cape. Schloss sie es, war es, als gäbe es sie nicht. Schlug sie es auseinander, kam das dunkle Kleid darunter zum Vorschein.

Dankbar lachte nun Erid. „Ich bin am Verrecken. Mir ist so kalt.“

Hope schnüffelte mit einem verhaltenen Knurren an der Frau, die Koseworte murmelte. Auf einmal rieb die Wölfin ihren Kopf an deren Schenkel. „Geht ja“, sagte die Fremde und wandte sich an Erid: „Willst du jetzt erfrieren oder mitkommen?“

Sie drehte sich um, setzte ihren Weg fort, er folgte, während Hope zwischen ihnen beiden hin und her lief.

Erids Augen tränten. Die Flüssigkeit fror an seinem Gesicht fest. Er war so beschäftigt damit, nicht umzufallen und liegen zu bleiben in seiner Übermüdung, dass er auf die Frau auflief als sie stehen blieb.

„Hoppla!“, rief sie und war weg.

„Hallo?“, sagte Erid verwirrt.

„Kommt schon rein.“

Da erst bemerkte Erid, dass er vor einem Iglu stand. Von innen schob sie einen weißen Fetzen zur Seite, er kroch hinein.

Die Wärme kam so plötzlich, dass er vor Schmerzen aufschrie als sein Körper zu pulsieren begann. Erid sank auf einem Fellhaufen nieder und stöhnte.

„Hier hat es satte siebzehn Grad.“ Sie kicherte. „Ungewohnt, was? Ich bin Samira und du?“

„Erid. Ich glaube, ich habe seit drei Jahren nicht mehr solche Hitze gespürt.“

Samira legte das Kapuzencape ab.

Er starrte sie an: sie war mindestens Achtzig. Wie überlebte sie nur?

„Was ist? Zieh dich aus, du stinkst, jetzt, wo dein Blut auftaut. Kannst gleich baden, das Wasser kocht schon.“

Ungläubig blickte Erid sich um. Im Flammenschein des Ofens – sie hatte einen richtigen Ofen mit Glastür! – entdeckte er an der rückwärtigen Eiswand eine Badewanne. Auf der Ofenplatte blubberte kochendes Wasser in einem Topf.

Samira warf Hope ein Stück Fleisch hin, das die Wölfin sogleich verschlang.

„Ganz ausziehen“, sagte sie und Erid beeilte sich, die Schichten abzulegen.

 

Hope spitzte die Ohren, weil Erid laut stöhnte als er in das heiße Wasser stieg.

„Gut.“ Samira reichte ihm ein Stück Kernseife, „runter mit dem Dreck.“

Sie machte sich am Ofen zu schaffen, legte ein Holzscheit in die Feuerung, stellte eine Pfanne oben drauf. Dann holte sie aus einer Eisnische nahe dem Eingangsbereich in Rinde eingeschlagene Päckchen – Erid konnte nicht genau sehen, was, und schnitt Stücke vom Inhalt ab.

Bald durchzog ein köstlicher Geruch von gebratenem Speck den Iglu. Erid lief das Wasser im Mund zusammen und sein Magen schmerzte. Er wusch sich ausgiebig, Samira warf ein Handtuch in seine Richtung. „Fest rubbeln, damit es keine Frostbeulen gibt.“

Aber Erid war bereits schweißgebadet, was für ein Gefühl!

Samira brachte ihm einen Trainingsanzug. Als er angezogen auf den Fellen saß, bekam er einen Teller von ihr gereicht.

Knusprige Speckscheiben mit einer Art Pfannkuchen und gerösteten Nüssen.

„Jetzt werde ich gleich aufwachen, erfroren im Schneefeld.“

„Spinn nicht herum, iss“, brummelte Samira. Sie ging zur Wanne und zog den Stöpsel.

Mit vollen Backen nuschelte Erid: „Wohin leitest du das Wasser ab?“

„Das Rohr führt nach draußen und spült die Latrine durch.“

Waren Frauen wirklich um so viel findiger als Männer? Erid schüttelte den Kopf vor Erstaunen.

 

Nach dem Essen ruhten beide auf den Fellen, Hope hatte den Kopf auf Samiras Bein gelegt.

„Ich folgte einer Melodie. Hast du sie auch gehört, Samira?“

Sie nickte. „Deswegen habe ich mich so weit vom Iglu entfernt. Die Nacht überraschte mich. Den Rest kennst du ja.“

„Wollen wir Morgen gemeinsam nach dem Ursprung Ausschau halten?“

„Es muss mit dem Schein am Horizont zusammen hängen“, antwortete sie. „Ja, ich begleite dich.“

Sie legte Holz nach, löschte die Kerzen. Es wurde still im Raum.

Und durch die Nacht tönte zart die Melodie.

 

     ..10.12..

© Elsa Rieger

 

 
 

 Copyright © 2005
  Stand: 15.12.2006